Corona bedroht viele Gewerbetreibende in ihrer Existenz. Trotz Schließung ihrer Geschäfte mussten sie bisher damit rechnen, weiter die volle Miete zu zahlen. Das Kammergericht leistet ihnen jetzt mit dem „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ Schützenhilfe. Wann der Mieter diese Karte ziehen kann und wie sich das auf die Miete auswirkt, haben wir für Sie zusammengestellt (Besprechung zu Kammergericht: Urteil vom 01. April 2021, Aktenzeichen: 8 U 1099/20).

Nach einem Urteil des Kammergerichts

1. Das Urteil

Mit seiner Entscheidung vom 1. April 2021 (kein Scherz) hat sich das Kammergericht einer der drängendsten Fragen des gewerblichen Mietrechts angenommen, die Gewerbetreibende in ihren Mietverhältnissen seit dem Beginn der Corona-Pandemie im Februar 2020 ständig begleitet: Muss auch bei Schließung die volle Miete gezahlt werden? Liegt durch die behördliche Anordnung ein Mietmangel vor? Oder kann der Mieter sich auf die Einrede des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) berufen? Was muss der Mieter darlegen und beweisen? Und was bringt dem Mieter das alles?

a) Sachverhalt

Dem Urteil lag ein Rechtsstreit zwischen Vermieterin und Mieterin einer Spielhalle in Berlin zugrunde, die bereits seit April 2020 aufgrund behördlicher Anordnung im Rahmen der „Sars-VoV-2-Eindämmungsmaßnahmeverordnung“ vom 24.03.2020 geschlossen war. Die Mieterin, deren Umsatz auf Null absank, berief sich gegenüber dem Vermieter auf den „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ wegen der Corona-Pandemie und bat die Vermieterin um vollständigen Mieterlass.

Dem kam die Vermieterin nicht nach und verlangte die volle Miete bzw. Nutzungsentschädigung von der Klägerin. Allein dieser im Wege der Widerklage verfolgte Zahlungsanspruch ist hier relevant.

b) Argumentation der Gerichts

Das Kammergericht führt – übereinstimmend mit der hier vertretenen Auffassung – aus, dass öffentlich-rechtliche Beschränkungen, die, soweit sie nicht den Mietgegenstand selbst beeinträchtigen, keinen Mangel im Sinne des Mietrechts darstellen können. Da nur bestimmte Nutzungen betroffen sind, liegt die Ursache der Verwendbarkeit im Grundsatz in den persönlichen und betrieblichen Umständen des Mieters. Wie in fast allen Fällen der pandemiebedingten Betriebsschließungen lag also auch hier kein Sachmangel vor, weil die hoheitlichen Maßnahmen wegen der Pandemie nicht an den baulichen Gegebenheiten der Mietsache anknüpften, sondern an der Nutzungsart und dem sich daraus ergebenden Publikumsverkehr, der Infektionen begünstigt.

Das Kammergericht leitet jedoch einen Anspruch auf Vertragsanpassung aus § 313 BGB ab, der zu einer Minderung der Miethöhe führt. Auch wenn der Gesetzgeber erst mit dem am 31.12.2020 in Kraft getretenen Art. 240 § 7 EGBGB einen Vermutungstatbestand geschaffen hat, wonach pandemiebedingte Schließungen vermuten lassen, dass eine Störung der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB vorliegt, könne die Wertung auch für frühere Schließungszeiträume herangezogen werden.

Demnach kommt es darauf an, ob im Einzelfall die Voraussetzungen für den Wegfall bzw. Störung der Geschäftsgrundlage vorliegen. § 313 BGB erfordere drei Voraussetzungen: ein tatsächliches, ein hypothetisches und ein normatives Element.

Zunächst muss sich eine Entwicklung ergeben haben, die erheblich von den ursprünglichen Vereinbarungen der Parteien und den ihnen zugrundeliegenden Vorstellung von der Vertragsabwicklung und ihren Zielen abweicht. Das Kammergericht formuliert es so:

Die Geschäftsgrundlage, also das „tatsächliche Element“, wird gebildet durch die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsschluss aber zutage getretenen, dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen des eigenen Vertragsteils oder durch die gemeinsamen Vorstellungen beider Teile vom Vorhandensein oder künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille auf diesen Vorstellungen aufbaut. Hier wird die Vertragssituation der Parteien subsummiert und insbesondere die Geschäftsgrundlage der Nutzung als Spielhalle und die damit verbundenen Vorstellung der Nutzungen erörtert.

VIS Berlin – 8 U 1099/20 | KG Berlin 8. Zivilsenat | Urteil

Dann muss die Frage gestellt werden, wie die Parteien sich in Kenntnis, einer drohenden Pandemielage verhalten hätten – das sogenannte „hypothetische Element„. In dem vom Kammergericht entschiedenen Fall war anzunehmen, dass die Vertragsparteien eine entsprechende Anpassungsklausel vorgenommen hätten, wenn sie den Fall vorausgesehen hätten.

Die Kernfrage lag für das Kammergericht aber im „normativen Element“ – nämlich ob einem Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen bzw. gesetzlichen Risikoverteilung das Festhalten am unveränderten Vertrag zugemutet werden kann. Hier kam das Kammergericht dann zu der für Gewerbemieter maßgeblichen Entscheidung:

  1. die Beschränkungen im Zuge der Covid-Pandemie seien eine extreme Ausnahme, wörtlich eine „Systemkrise“, die keine Vertragspartei allein tragen müsse;
  2. das Kammergericht stellte zudem die Vermutung auf, wonach „unter Umständen existenziell bedeutsame Folgen“ immer dann anzunehmen seien, wenn eine Schließung einen Monat oder länger andauere
  3. den Mieter treffe zunächst keine Pflicht zum Nachweis der vermuteten existentiellen Bedeutung anhand konkreter betriebswirtschaftlicher Daten.

Im Ergebnis entschied das Gericht, das Risiko 50/50 auf die Vertragsparteien zu verteilen. Im Ergebnis nahm das Kammergericht also für den Gewerbemieter für die gesamte Schließungszeit eine Absenkung der Miete auf 50 % vor.

2. Für die Praxis

Für die Praxis bringt das Urteil des Kammergerichts jedenfalls für das Land Berlin mehr Klarheit: Betroffene Mieter können sich auf die Einrede der Störung der Geschäftsgrundlage berufen. Allerdings bleiben unbedingt die Voraussetzungen zu beachten:

a) Ausmaß der Schließung bleibt maßgeblich

Das Kammergericht ließ offen, in welchem Umfang eine Mietreduzierung in Betracht kommt, wenn der Mieter seinen im Kernbereich untersagten Betrieb dennoch eingeschränkt weiterführt oder dies in zumutbarer Weise hätte tun können. Für Fällen außerhalb der vollständigen Betriebsuntersagung wie bei Spielhallen, Bordellen oder Wellnesseinrichtungen muss daher weiter genau geprüft werden, inwieweit tatsächlich ein Wegfall bzw. eine Störung der Geschäftsgrundlage eingetreten ist.

In diesen Fällen muss weiterhin ein Nachweis der Auswirkungen der Beeinträchtigung geleistet werden.

b) Gewerbemietvertrag muss genau geprüft werden

Gewerbemietverträge sind regelmäßig nicht „von der Stange“ und dementsprechend individuell gestaltet. Bevor eine Minderung in der Betracht kommt muss die vertragliche Situation zwischen den Parteien geprüft werden.

In dem vom Kammergericht entschiedenen Fall gab der Mietvertrag keinen ausreichenden vertraglichen Anspruch zur Mietanpassung. Auch das Risiko einer vollständigen Betriebsuntersagung aufgrund einer Pandemie war nicht ausgeschlossen worden. Sollte allerdings im Mietvertrag ein solcher Passus vereinbart worden sein, welcher sich mit der Möglichkeit einer bundesweiten oder lokalen Schließung beschäftigt, kann eine Störung der Geschäftsgrundlage ausscheiden.

3. Fazit

Für Gewerbemieter, für die keine Weiterführung des Betriebes möglich war und die unter einer vollständigen Betriebsschließung zu leiden hatten oder haben, wird es einfacher, der Vermieterseite die Störung der Geschäftsgrundlage pauschal entgegenzuhalten. Für alle, die den Betrieb zum Beispiel durch ein Außer-Haus-Angebot fortführen können, bleibt die Lage schwierig, zumal für jeden Einzelfall im Lichte der konkreten Beeinträchtigungen geprüft werden muss, welche Regelung und ggf. Reduzierung der Miete angemessen ist. Eine hälftige Mietreduzierung dürfte nach dem Urteil des Kammergerichts regelmäßig unterschritten werden.

Aus Vermietersicht bringt die Entscheidung erhebliche Verschlechterungen mit sich. Künftig dürften Gerichte bundesweit zunehmend dazu tendieren, den Wegfall der Geschäftsgrundlage als vorrangig gegenüber den mietvertraglichen Spezialregelungen für Minderung und Minderungsausschluss anzusehen. Die Stellung des Mieters ist daher in der Pandemiesituation gestärkt. Der Vermieter kann Risiken durch die Aufnahme von Pandemie-Klauseln in neue Mietverträge und Nachträge vermindern, allerdings werden diese nicht immer zu vereinbaren sein.

Für individuelle Lösungen in Ihrem Mietverhältnis stehen wir Ihnen gerne jederzeit beratend zur Verfügung.

Kammergericht: Urteil vom 01. April 2021, Aktenzeichen: 8 U 1099/20
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